Sebastian Fitzek: Die Realität ist viel schlimmer als Fiktion
Mit seinen Psychothrillern lehrt Sebastian Fitzek seinen Lesern das Fürchten. Der Autor verrät, wie auch Sie das schaffen.
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- So kam dem Bestsellerautoren die Idee zu "Die Einladung"
- Herr Fitzek, wie gehen Sie mit dem Druck um, immer abliefern zu müssen?
- Experten-Tipps von Sebastian Fitzek: So schreiben Sie Ihr eigenes Buch
- Darum ist der Berliner kein Fan von True-Crime
- Wenn Buchfiguren plötzlich ihren eigenen Kopf entwickeln
- Wird der Autor auch bald Schauspieler?
Wer Sebastian Fitzek persönlich trifft, der weiß: Er könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Ganz im Gegenteil zu den Figuren seiner Bücher wie "Passagier 23" oder "Der Heimweg".
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Mit seinen Geschichten raubt der Bestsellerautor seinen Lesern seit seinem Debüt "Die Therapie" aus dem Jahr 2006 regelmäßig den Atem und lehrt sie das Fürchten. Auf der 75. Frankfurter Buchmesse traf sich Liebenswert mit dem Berliner Autor.
Wie gut kennen Sie Sebastian Fitzek eigentlich? Im Video sehen Sie fünf Fakten, die Sie bestimmt noch nicht über den erfolgreichen Autoren wussten (unter dem Video geht der Artikel weiter).
Im Interview verrät der vierfache Vater, wie die Idee zu seinem neuen Psychothriller kam. Außerdem erzählt er, wie er mit dem Druck umgeht, jedes Jahr ein neues Buch zu veröffentlichen und warum die Realität meist viel schlimmer ist als die Fiktion. Gegenüber Liebenswert verriet er auch seinen Experten-Tipp, wie auch Sie Ihr eigenes Buch schreiben können.
Sie haben noch nicht "Die Einladung" erhalten? Der neue Psychothriller von Sebastian Fitzek ist unter anderem bei Amazon erhältlich:
So kam dem Bestsellerautoren die Idee zu "Die Einladung"
Liebenswert: Herr Fitzek, am 25. Oktober erschien Ihr neuer Psychothriller "Die Einladung". Wie kam die Idee dazu?
Sebastian Fitzek: Ich habe mittlerweile gelernt, dass es meist nicht nur eine Idee ist. Es müssen oft zwei, häufig auch drei verschiedene Ideen zusammenfinden. Deshalb kann es auch mal Monate, manchmal auch Jahre dauern, bis ich diese gefunden habe. Meine Grundausgangssituation finde ich meist im Alltag. Das war bei "Die Einladung" genauso. Ich war auf einem Klassentreffen und hab mich zwar an sich auch ganz wohl gefühlt. Aber ich habe auch gespürt: Ein Klassentreffen ist wie ein erstes Date. Man hat sich teilweise Jahrzehnte nicht gesehen, und checkt sich gegenseitig ab. Bei solchen Treffen kommt man mit den Menschen wieder zusammen, die genau wissen, welche Ziele und Wünsche man früher so hatte. Alle wundern sich mittlerweile, dass ich Autor geworden bin, weil das nie mein Plan war. Ich wollte immer Musiker oder Tierarzt werden. Dieses Klassentreffen war schon mal eine Ausgangssituation für ein neues Buch. Einige Zeit, eher Jahre später, hatte ich gelesen, dass zwei Millionen Menschen an Gesichtsblindheit leiden. Wobei man gar nicht von "leiden" sprechen kann. Die meisten wissen nicht mal, dass sie davon betroffen sind. Sie können sich einfach keine Gesichter merken.
Anders wahrscheinlich als bei der Stimme, oder?
Ja, genau. Deshalb achten viele auch gar nicht so genau auf das Gesicht, weil sie sich viel mehr auf andere Faktoren konzentrieren, auch bei Menschen, mit denen sie täglich zu tun haben: Die Haarfarbe, Gestik, Stimme, Kleidung oder auch die Körperhaltung, wenn diese besonders auffällig ist. Ich dachte dann: Was macht jemand, der gesichtsblind ist, auf ein Klassentreffen geht und sich gar nicht sicher sein kann, ob dort auch die Menschen sind, mit denen er zur Schule gegangen ist? So formte sich die Handlung mit Marla Lindberg, einer Gesichtsblinden, die in Psychotherapie war. Man hatte ihr gesagt, dass ihr Gehirn ihr Streiche spielen würde und sie sich Dinge einbildet. So kommt sie auf das Klassentreffen in den Bergen im Schnee, doch da ist keiner. Das einzige, was sie hört, ist ein röchelndes Pfeifen draußen in der Kälte.
Mir kamen direkt Bilder vom Handlungsort von Stephen Kings "Shining" in den Kopf – ein verlassenes, abgeschiedenes Hotel in den verschneiten Bergen. Haben Sie sich dadurch auch ein bisschen inspirieren lassen?
Stephen King war eher generell und schon immer die Inspiration für mich, mich mit Geschichten zu beschäftigen. Und das abgelegene, verlassene Hotel ist ja auch in ganz vielen Geschichten ein sehr beliebter Handlungsort. Für mich war das Klassentreffen meine größte Inspiration. Außerdem haben meine Bücher bisher noch nie in den Bergen gespielt. Es ist auch mehr eine ehemalige Hütte, in der Wanderer unterkommen, als das schöne, große Hotel aus "Shining". Und was mich an der Geschichte auch reizte war, dass ich vom klassischen Prinzip abgewichen bin. Sonst ist der Aufbau meist: Der Protagonist kommt an, alle verhalten sich merkwürdig. Tag für Tag stirbt jemand, aber man weiß nicht, wer der Mörder ist. Doch das wollte ich nicht. Bei mir kommt jemand an und keiner ist da. Fast schon wie eine Märchensituation. Der Tisch ist noch gedeckt, der Kamin ist warm, die Mäntel hängen am Haken, die Stiefel stehen da. Keiner würde bei diesem Wetter rausgehen. Und Marla ist ganz allein.
Wie geht es Ihnen kurz vor einer Buchveröffentlichung? Sind Sie nach so vielen Jahren als Autor – der auch immer wieder aufs Neue die Bestsellerlisten anführt – überhaupt noch aufgeregt?
Die Anspannung, bevor ich auf eine Bühne gehe, habe ich nach wie vor. Es fühlt sich immer so ein bisschen als, als würde ich mein Kind zum allerersten Mal zu einer Klassenfahrt an den Bus begleiten. Einerseits ist man unglaublich stolz, dass das Kind jetzt den nächsten Schritt geht. Andererseits bleibt die Sorge, ob die Reifen vom Bus richtig aufgepumpt sind oder der Busfahrer ausgeschlafen ist. Dieser Zwiespalt bleibt ewig. Und dann will man natürlich wissen, wie die Klassenfahrt war. Welche Erfahrungen und Erlebnisse das Kind dort gesammelt hat. Es ist immer wieder eine Reise, aufregend und neu und niemals Routine.
Das klingt richtig spannend und auch sehr schön, dass Sie das auch nicht abstumpft!
Das kann mich auch nicht abstumpfen, weil ich mich auch nie frage: Wird das Buch besser als das letzte? Vielmehr stelle ich mir die Frage: Wenn ich nur noch ein Buch zu schreiben hätte, welches wäre es dann? Wäre es diese Idee?
Herr Fitzek, wie gehen Sie mit dem Druck um, immer abliefern zu müssen?
Haben Sie schon eine Idee für das nächste Buch?
Ja und ich habe auch schon die ersten hundert Seiten fertig. Das liegt aber auch daran, dass ich im Mai schon abgeben muss. Zumindest die erste Fassung, die dann noch ein paar Mal überarbeitet wird. Früher, noch als Laie, hatte ich ganz falsche Vorstellungen von dem ganzen Buchbetrieb. Ich dachte immer, als Autor sitzt man irgendwo, schaut auf eine schöne Aussicht – die habe ich auch wirklich – und dann schickt man das Buch los, es werden noch ein paar Kommata gesetzt, dann geht’s in den Druck und eine Woche später ist das Buch draußen.
Aber eigentlich steckt ein ganz großer Prozess dahinter...
Total! So viele Leute sind involviert, das Papier muss bestellt werden. Ich werde gefragt, wie viele Seiten das Buch in etwa haben wird, da Papier ja auch knapp ist. Die Druckerei muss informiert werden. Wie das Cover aussehen soll oder könnte, wird auch schon besprochen. Auch welchen Titel das Buch dann haben soll. Die Vertriebler müssen schon jetzt zu den Buchhändlerinnen und Buchhändlern gehen und sagen: "Da kommt was Neues!" Dann müssen die das eventuell einkaufen. Dafür müssen sie wissen, worum es grob geht. Dafür brauchen sie wenigstens ein Exposé. Das Buch verändert sich meist nochmal etwas. Das braucht also alles einen gewissen Vorlauf, zwischen Abgabe und Veröffentlichung liegen Monate. Dazwischen kann ich dann mal Urlaub machen, Interviews geben, auch auf Buchmessen gehen. Aber ich schreibe auch.
Es gibt für Sie also eigentlich nie Pause und Sie schreiben immer weiter?
Eigentlich schon, ja. Es gibt natürlich auch Menschen, die viel mehr schreiben als ich. Neulich habe ich eine Autorin auf dem BookTock Festival getroffen, die hat schon 60 Bücher geschrieben. Da bin ich noch nicht ganz dran.
Wie hoch ist der Druck zu wissen: Nächstes Jahr – etwa im Oktober – muss wieder der nächste Fitzek-Thriller im Buchhandel stehen?
Den Druck habe ich tatsächlich gar nicht. Da habe ich mir ein ganz gutes Mindset erarbeitet. Mein Bruder ist Arzt. Er muss oft ziemlich komplizierte Operationen durchführen oder von jemandem ein MRT machen. Er muss also auf den Punkt liefern. Er kann nicht einfach sagen: "Okay, ich habe heute mal eine MRT-Blockade, ich kann das jetzt nicht." Dann bleibt der Patient im MRT liegen. Bei mir stirbt keiner, wenn ich sage: "Es tut mir leid, das Buch ist nicht fertig." Natürlich würde ich damit viele enttäuschen und da hängen auch einige Abläufe dran, die Geld kosten, viel Geld, wenn es verschoben wird. Aber es stirbt keiner. Das nimmt mir den Druck und hilft mir trotzdem, Deadlines einzuhalten.
Jetzt kommt eine etwas andere, verrückte Frage. Wenn Sie ein Serienmörder wären, würden Sie dann lieber Kaffee oder Tee trinken und wieso?
Da würde ich nah bei mir bleiben und klar sagen: Kaffee! Ich trinke gerne schwarzen Kaffee. Und Tee verfärbt die Zähne tatsächlich schneller als Kaffee – kurioserweise. Ich dachte immer, es wäre andersherum. Tee kann ich tatsächlich nur mit Milch und Zucker trinken.
Viele Schauspieler können sich selbst nicht im Fernsehen spielen sehen. Wie geht es Ihnen als Autor, lesen Sie Ihre eigenen Bücher?
Bei Lesungen, ja. Aber komplett eher nicht. Da fehlt mir ehrlich gesagt ein wenig die Zeit für und es gibt so viele andere großartige Bücher, die es noch zu entdecken gilt. Aber was ich wirklich nie mache ist, mir Interviews oder Auftritte in Talkshows oder ähnliches mit mir anzuschauen. Klar, kann man sich das professionell anschauen, um immer besser zu werden. Aber ich ertrage mich nicht.
In Ihrem letzten Psychothriller "Mimik" geht es um eine Mimikresonanz-Expertin. Welche Fähigkeit oder Superkraft hätten Sie selbst gerne?
Ich würde mich gerne beamen können, weil ich sehr viel von der Welt sehen möchte. Aber reisen ist ja auch energetisch gar nicht mehr so einfach. Wobei – das Beamen würde sicher auch ordentlich Strom benötigen. Also vielleicht eine Superkraft, mich CO2-neutral beamen zu können.
Sie haben vier Kinder. Wissen sie, was Sie beruflich machen?
Sie wissen, was ich mache, aber sie haben bisher alle noch kein Buch von mir gelesen – das hoffe ich zumindest. Außer "Pupsi und Stinki". Aber ich erzähle ihnen gerne Geschichten. Allerdings nimmt das in letzter Zeit ein wenig ab. Die älteste ist aktuell im Manga-Fieber – da bin ich ehrlich gesagt raus.
Experten-Tipps von Sebastian Fitzek: So schreiben Sie Ihr eigenes Buch
Sie vermitteln beim Programm "Meet your Master" in Kursen, wie man ein Publikum fesselt und ein eigenes Buch schreiben kann. Welchen Tipp geben Sie Menschen, die zum ersten Mal – völlig unerfahren – ein Buch schreiben wollen?
Ein Buch schreiben ist so ein bisschen wie Fahrrad fahren oder Schwimmen. Man kann zwar super viel theoretisieren, aber am Ende muss man einfach ins kalte Wasser springen und machen. Einfach los schreiben, sich auch gar nicht so viele Fragen stellen. Deshalb sind Debüts meist so authentisch. Zweitwerke sind hingegen schon problematischer, weil Autoren oft versuchen, an ihren ersten Erfolg anzuknüpfen und da nochmal etwas abzuleiten. Aber der erste Erfolg kommt rein aus einem selbst. Der zweite Tipp ist: Man wird beim ersten Mal Fehler machen, vom Fahrrad fallen oder auch mal untergehen. Da ist es wichtig, sich jemanden an die Seite zu holen, der einen dann unterstützt. Ein Mentor, ein Lektor. Ich erlebe es immer wieder, dass sich viele, die anfangen zu schreiben, unglaublich viele Fragen stellen. In welcher Größe muss ich schreiben, wie viele Seiten muss das Buch haben, darf ich die Seiten rückwärts nummerieren? Da sage ich dann immer: Alles ist möglich, aber mach es doch erstmal.
Es kostet aber auch eine gewisse Überwindung, mit dem Schreiben anzufangen. Gibt es einen Richtwert, ab wie vielen Seiten das Schreiben leichter wird?
Nein, den gibt es nicht. Es ist erst andersherum. So knapp ab 20 Seiten wissen viele meist, in welche Richtung die Geschichte gehen soll. Und dann versauert das ungeschriebene Buch oft auf der Festplatte. Die Kunst ist wirklich, nach den ersten 20 bis 80 Seiten dranzubleiben. Da kann ich einen Tipp geben: Schreibt euch den Klappentext, der später auf dem Buchrücken stehen soll, schon mal auf. Eine grobe Inhaltsangabe. Gebt eurem unfertigen Buch einen Namen – und zwar einen guten. Damit habt ihr schon mal einen groben Aufbau – den Anfang, Mittelteil und den Schluss. Damit ihr für euch selbst wisst: Was will ich mit dieser Geschichte eigentlich erzählen? Ich persönlich visualisiere für mich immer eine entscheidende Szene vom letzten Akt am Schluss – auf die ich mich freue. Es muss nicht die letzte oder alles entscheidende Szene sein. Aber man sollte sich sagen können: Das möchte ich schreiben. Manchmal kommt man gar nicht erst zu dieser Szene, weil sie am Ende doch rausfällt. Aber so etwas treibt an und ermutigt dazu weiterzuschreiben.
In Ihnen schlummert noch immer ein Rockstarherz – Sie wollten immer Rockstar werden. Mit welchem Lied würden Sie Ihre Bücher aber auch Ihr Leben beschreiben?
Oh gute Frage, da muss ich echt mal überlegen (lacht). Wahrscheinlich das Lied "Blasphemous Rumours" von Depeche Mode.
Auf beides bezogen? Also auf das Leben und auf die Bücher?
Ich bin zwar kein blasphemischer Mensch, aber ich glaube – wenn es eine höhere Macht gibt – dass diese schon jetzt oft über mich lacht und mich dann am Ende empfängt und zu mir sagt: "Fitzek, also da hast du ja echt viel Blödsinn zwischendurch gemacht."
Kurioserweise habe ich mich immer in der 2. Reihe platziert, bevor ich Autor wurde. Deshalb habe ich mir für meine Rockstarkarriere auch das Schlagzeug ausgesucht. Man hört mich zwar, aber man sieht mich nicht direkt. Ich war auch schon beim Radio, habe aber nie moderiert, sondern immer die Texte für andere geschrieben. Den ersten Entwurf meines ersten Buches habe ich unter einem Pseudonym Paul Lucas geschrieben.
Und da sagte mir damals mein jetziger Literaturagent: "Vielleicht ärgern Sie sich irgendwann, schreiben Sie doch Ihren richtigen Namen drauf." Aber ich weiß noch, ich wollte mich nun mal irgendwie verstecken - aber gleichzeitig doch auch auf die Bühne. Dann habe ich mir gesagt: Wenn ich das mache, dann nur, wie ich wirklich Lust draufhabe. Und noch heute – wenn ich hinter einer Bühne stehe und weiß, dass es gleich losgeht – frage ich mich oft: "Was machst du eigentlich für einen Quatsch hier? Eigentlich wolltest du doch ein ruhiges Leben haben." Aber dann macht es natürlich wieder voll Spaß. Es ist diese Ambivalenz.
Und in dem Lied werden Schicksalsschläge von Menschen beschrieben, die eigentlich alles richtig machen, aber trotzdem am Ende an einer Herzlungenmaschine angeschlossen sind. Das beschreibt die Szenen in meinen Büchern ganz gut. Wo die Faust des Schicksals zuschlägt, man weiß aber gar nicht wieso. Plötzlich müssen die Heldinnen und Helden in meinen Büchern kämpfen.
Darum ist der Berliner kein Fan von True-Crime
Ihre Thriller sind oftmals ziemlich grausam. Sind Sie im echten Leben ein Fan von True-Crime – also 'Aktenzeichen XY' & Co.?
Nicht so richtig. Ich werde tatsächlich oft angefragt, ob ich nicht eine True-Crime-Sendung moderieren möchte.
Medienberichten zufolge soll 2026 der Vertrag vom 'Aktenzeichen XY'-Moderator Rudi Cerne auslaufen. Wäre die Stelle was für Sie?
Das Format ist nochmal etwas anders, weil es darauf aufgebaut ist, Opfern zu helfen und Flüchtige zu suchen. Das finde ich gut. Aber wenn mir Leute sagen: "Also das, was du da beschrieben hast – diesen Serienkiller oder diese Tat – das gibt es doch gar nicht und das macht doch keiner" – da kann ich nur sagen: Zum Glück! Tatsächlich werde ich aber von realen Ereignissen inspiriert und die bekomme ich auch nicht mehr aus meinem Kopf und ich muss darüber schreiben.
Aber vor allem bin ich kein großer Fan von True-Crime, weil ich selbst nicht zuhause vor dem Fernseher sitzen möchte mit einer Tüte Chips und mir dann denke: Krass, das ist genauso passiert.
Ich möchte mich nicht von realen Leid unterhalten lassen. Wobei True-Crime natürlich eine absolute Berechtigung hat – etwa, wenn es um die Gerichtsmedizin geht. Einfach, um zu zeigen, wie wichtig es ist, dass wir diese überhaupt haben. Wenn wir daran sparen, sparen wir gleichzeitig auch am Opferschutz. Trotzdem - bei vielen Formaten merken sich die Zuschauer letzten Endes die Täter und erinnern sich nicht an die Opfer.
Nehmen wir das Beispiel Jeffrey Dahmer. Die Serie hätte nach einem der Opfer benannt werden sollen. Wobei das in der Fiktion auch so ist. Hannibal Lecter kennt jeder, aber wie hieß nochmal die Senatorentochter (Anmerkung der Redaktion: Charakter aus dem Film "Das Schweigen der Lämmer")? Vielleicht wollen die Opfer auch nicht, dass ihr Name bekannt wird und lieber endlich Ruhe haben. True-Crime ist wirklich ein kurioses Phänomen. Ich habe einfach ein Problem damit, Kriminelle zu Popstars zu machen.
Wenn Buchfiguren plötzlich ihren eigenen Kopf entwickeln
Haben Sie Bücher schon mal abgebrochen beim Schreiben?
Nein, das nicht. Aber ich habe schon etwas aus Büchern herausgenommen. Meist waren das Dinge, die schon genauso passiert sind und real waren. Häufig fragen meine Lektorinnen: "Das ist doch zu viel und das würde so nie passieren?" Aber genauso ist es oftmals dann wirklich passiert – die Realität ist häufig viel skurriler und schlimmer als die Fiktion. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich ein Buch – in dem Fall "Passagier 23" – nach 60 Seiten wieder von vorne anfangen musste, weil mein Protagonist einen guten Grund hatte, nicht auf dem Kreuzfahrtschiff zu bleiben – so wie ich es gedacht hatte. Und dann kann ich ihn nicht dazu zwingen, das zu tun was ich will. Nach ungefähr 60 Seiten entwickeln die Figuren ihren eigenen Kopf.
Wird der Autor auch bald Schauspieler?
Zur Veröffentlichung von "Die Einladung" startete auch "Die Therapie" bei Amazon Prime Video. Eine Serie basierend auf Ihrem Debüt. Hätten Sie die Möglichkeit oder würden gefragt, ob Sie in der Serie – oder auch in einer anderen – eine Rolle spielen möchten. Würden Sie das Angebot annehmen?
Mich selbst würde ich nicht spielen können. Die große Kunst von Schauspielern ist ja, dass sie alles vergessen können, was um sie herum passiert. Ich würde die ganze Zeit darüber nachdenken, wie ich mich bewegen muss. Wie nehme ich denn jetzt das Glas vom Tisch? Da fehlt mir der Abstand zu mir selbst.
Nicht mal eine kleine Nebenrolle? Sie haben in Ihrem Leben schon so vieles gemacht. Podcaster, Moderator, Chefredakteur, Autor…
Wenn man mich fragt, dann sag ich meistens: Klar, probiere ich das aus. Den schlimmsten Ratschlag, den man Menschen geben kann, ist: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Das hört man häufig. Da würde ich erstmal die Menschen fragen, ob sie überhaupt wissen, was ein Leisten ist. Das wissen die meisten wahrscheinlich gar nicht.
Außerdem sind wir mittlerweile im 21. Jahrhundert – nichts gegen den Beruf des Schusters. Aber das heutzutage noch als Maßstab zu nehmen, finde ich etwas schwierig. Wäre ich zudem bei meinen Leisten geblieben – was auch immer das ist – wäre ich heute vielleicht Tierarzt oder beim Radio geblieben. Man sollte einfach machen und ausprobieren, worauf man Lust hat und vor allem eines tun: Leben.
Interview: Sarah Wallner
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