Wie lebt man mit chronischen Schmerzen?
Mit Schmerzen zeigt der Körper, dass etwas nicht stimmt. Aber was tut man, wenn sie nicht mehr nachlassen? Dann kommen Schmerz-Experten wie die Chefärztin Dr. Ariane Burtscher ins Spiel.
Ob Hexenschuss, Kopfschmerzen oder Blinddarm: Mit Schmerzen signalisiert uns unser Körper, dass etwas im Argen liegt. Was aber, wenn sich der Schmerz verselbstständigt und auch dann nicht nachlässt, wenn die Ursache eigentlich längst behoben wurde? Dann kommen Schmerztherapeuten im Spiel. Wie ihre Aufgabe aussieht, hat uns Dr. Ariane Burtscher verraten. Dr. Burtscher ist Chefärztin im Zentrum für Schmerztherapie der Schön Klinik Harthausen in Bad Aibling und betreut dort mit ihrem Team Patienten, die mit chronischem Schmerzen zu ihr kommen, mit einem ganzheitlichen Ansatz. Das bedeutet, dass neben dem Körper auch die psychologischen und die sozialen Merkmale des jeweiligen Patienten betrachtet werden. Wie ihr Ansatz genau aussieht, erklärt Frau Dr. Burtscher im zweiten Teil unseres Interviews.
Liebe Frau Dr. Burtscher, welche Patienten kommen zu Ihnen?
Zu mir kommen Patienten mit chronischem Schmerzen aller Art, ob das nun Knie, Schulter, Hüfte ist, Schmerzen im Rücken, Patienten mit Nervenschmerzen oder Polyneuropathie, das ist ein spezieller, sehr unangenehmer Nervenschmerz. Schmerzen kann man ja überall haben und diese chronischen Schmerzen sind das Hauptbehandlungsfeld. Es gilt zu unterscheiden: Akuter Schmerz hat eine Warnfunktion, ist kurz andauernd, die Ursache ist meistens therapierbar. Denken Sie an eine Blinddarmentzündung. Es wird operiert und dann ist es gut. Ziel ist die Schmerzfreiheit. Bei uns ist es so, dass der chronische Schmerz sich ein bisschen verselbstständigt hat, er hat keine Warnfunktion mehr, dauert seit drei bis sechs Monate an und die Ursache ist vielschichtig. Außerdem ist er nicht immer therapierbar.
Also geht es weniger darum, den Menschen von den Schmerzen zu befreien als vielmehr, dem Menschen Wege aufzuzeigen, mit den Schmerzen zu leben?
Genau. Wir schauen uns den Patienten zwar auch immer noch mal genau an, aber wenn ich der Meinung bin, gut, das ist etwas chronifiziertes, dann geht es in den Umgang mit dem Schmerz. Ich nenne das immer einen Rucksack voller Ideen: Wie kann ich gegen diese Hilflosigkeit, die bei Schmerz ja auch entsteht, vorgehen? Wenn der Schmerz auftritt, was tue ich dann? Das üben wir richtig mit den Patienten. Du kannst natürlich auch zum Schmerzmittel greifen, aber diese ganzen vielen Ideen drumrum - ich hol mir eine Wärmflasche, weil der Bauch weh tut - die sind so verloren gegangen.
Man darf auch die emotionale Komponente nicht unterschätzen. In welchem Zustand bin ich gerade? Kann ich den Schmerz besser oder schlechter ertragen? Und der Schmerz kann eben auch mal ohne eine nachvollziehbare Gewebeschädigung da sein, was für den Patienten auch erstmal schwer ist. Man muss da ganz viel Aufklärung betreiben und sagen: Du, ich nehme den Schmerz ernst, so wie du das sagst, auch wenn jetzt das Röntgenbild gar nicht so schlimm ausschaut. Schmerz kann man nicht immer in Röntgenbildern darstellen.
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Kann man mit dem Aufbrechen verschiedener Muster möglicherweise chronische Schmerzen loswerden?
Ich würde das Wort lindern bevorzugen, Schmerzfreiheit ist ein sehr hohes Ziel. Wenn ich das als Ziel habe, kann ich nur frustriert werden. Wir können in dem kurzen Therapieverfahren nicht jahrelangen Schmerz weg machen. Wie Sie schon sagen: Der hat viele Muster, der hat viele Gründe und man kann das ein oder andere angehen und mit Sicherheit auch verbessern und vielleicht kann man irgendwann auch eine relative Schmerzfreiheit gewinnen, aber Ziel sollte erstmal eine Linderung sein, das ist realistisch. Ich kann nicht sagen: Sie gehen hier auf jeden Fall schmerzfrei hüpfend raus.
Wie ist das von der Altersstruktur? Gibt es ein Durchschnittsalter Ihrer Patienten?
Das ist quer durch die Bank. Aber so ab 40 bis etwa 70 ist das Hauptalter. Ich denke, dass das das Alter ist, in dem die meisten die stärksten Belastungen haben. Die Patienten stecken tief im Beruf, bewegen sich zu wenig, weil sie keine Zeit mehr für Sport haben, haben vielleicht eine Familie gegründet, haben also einfach viel Stress. Es gibt viele Anforderungen, viele Rollen zu erfüllen und das ist dann häufig das, wo eine Überforderung eintritt.
Welche Rolle spielen diese gesellschaftlichen Faktoren?
Eine sehr große Rolle, weil wir einfach eine Leistungsgesellschaft sind, wo viel erwartet wird und auch nur über Leistung definiert wird und auch "bezahlt" wird. Und ein Manko wie Schmerz oder Einschränkung wird da nach wie vor nicht in den Fokus gestellt oder überhaupt diskutiert und auch nicht immer unterstützt, muss man ehrlich sagen. Insofern ist man das so gewöhnt und will das erfüllen und so verhält man sich dann auch. Es tritt ein Schmerz auf und dann muss der ganz schnell verschwinden, denn er passt nicht in meinen Fokus, in mein Leben und überhaupt. Und gerade dann chronifiziert er sich oft. Der Kopf will und der Körper zieht einfach nicht mit. Und das wieder zusammenzubringen, ist die Herausforderung.
Also sollten wir alle wieder mehr auf unseren Körper hören?
Ganz genau.
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