Wir waren doch einmal Freundinnen!
Es gibt nichts Besseres als gute Freunde. Aber wenn eine solche Beziehung in die Brüche geht, dann verhalten wir uns leider oft sehr feige.
Gestern kam mir beim Stadtbummel eine Frau entgegen. Hosenanzug wie Angela Merkel und Hut auf dem Kopf. Mit energischem Gang marschierte sie auf mich zu – und ich wusste sofort: Das ist Marlies! Mein Gott, wie lange hatten wir uns nicht gesehen? Wie lange nicht mehr gesprochen? Wir taten es auch diesmal nicht. Sie schaute plötzlich sehr angestrengt in ein Schaufenster, während ich panisch in meiner Tasche wühlte, als würde ich mein Handy vermissen. Es war lächerlich: Jedem Blinden wäre aufgefallen, dass sich da zwei Frauen nicht sehen wollen.
"Wir waren mal Freundinnen"
Hinterher tat es mir leid. Wieder eine verpasste Chance, die sich in diesem Leben vielleicht nicht noch einmal bietet. Es gibt ja diesen alten Spruch: "Man sieht sich im Leben immer zweimal.“ Wir waren mal Freundinnen. Ist schon eine ganze Weile her, so lange, dass ich schon gar nicht mehr weiß, warum wir uns aus dem Weg gehen. Irgendetwas war schief gelaufen, und ich fand sie nur noch doof. "Wir leben in verschiedenen Welten", sagte sie einmal. Und ich fragte mich, was sie damit meinte. Ob sie ihre Welt besser fand oder meine. Ich war Hausfrau und Mutter und sie eine erfolgreiche Friseurin mit einem eigenem Laden.
Video: Warum wir alle einen Teddy-Freund brauchen ... (Artikel wird unter dem Video fortgeführt)
Es wäre gut gewesen, wenn wir darüber geredet hätten. Aber ich beendete unsere Freundschaft auf erbärmliche Weise: Ich rief nicht mehr zurück, wenn eine Nachricht von ihr auf unserem Anrufbeantworter aufblinkte – und ich ging nicht mehr zum Friseur. Als Willi irgendwann meinte, dass die Fransen auf meinem Kopf alles Mögliche wären, nur keine Frisur, da holte ich mir einen Termin bei der Konkurrenz. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen. Bis gestern. Und nun grüble ich darüber nach, ob das eigentlich normal ist, dass Freundschaften auf diese wirklich blöde Art beendet werden müssen. Oder ob das nicht auch anders geht? Erwachsener? Mutiger? Als Teenager habe ich in solchen Fällen lange Briefe geschrieben, frei nach dem Motto: "Was ich Dir immer schon mal sagen wollte.."
Prompt gab’s bitterböse Briefe zurück. Aber man wusste immerhin, woran man war. In Zeiten von E-Mails lasse ich so was. Zu schnell hat man was Falsches geschrieben, und es gibt keinen Briefträger, den man im letzten Moment abfangen kann. Jetzt beende ich Freundschaften auf die leise und feige Art. Klug ist das nicht. Ich glaube, wir Menschen brauchen Abschiede. Man muss sich noch mal aussprechen. Es wäre gut, wenn es so etwas auch für Freundschaften gibt. Ein Ritual, das einem ermöglicht, hinterher nicht auf der Straße wie bekloppt den Kopf in die Handtasche zu stecken, sondern sich mit Anstand zu begrüßen. Man muss sich ja nicht gleich vor Freude um den Hals fallen.
"Es tut mir leid. Ich war eine blöde Kuh"
Was Marlies und mich anbelangt – zu spät. Ich habe die Chance verpasst. Jetzt frage ich mich, ob ich mir nicht mal einen Termin bei ihr geben lassen soll. Sie hat noch immer das kleine Friseurgeschäft. Ich könnte doch mal hingehen und sagen: "Es tut mir leid, ich war eine blöde Kuh. Kannst du mir trotzdem die Haare schneiden und färben?"
Vielleicht freut sie sich. Ich glaub, ich ruf da jetzt mal an. Denn wenn ich zu lange über alte Freundinnen nachdenke, verpasse ich die allerletzte Chance!
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