"Unser Beruf: Trauer ernst nehmen"
Sibylle und Jürgen Schnell sind Dienstleister, Trauerbegleiter und der Rettungsanker in der Not. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Jeder Anruf wird an- und ernst genommen. Ihre Berufsbezeichnung: Tierbestatter.
Im Interview mit Liebenswert spricht das Ehepaar Schnell, Sibylle (52) und Jürgen (63), darüber, wie ein Tier würdig verabschiedet werden kann, wie es hilft, mit Trauer umzugehen und welche Geschichte ihm selbst, trotz jahrelanger Berufserfahrung, nahe ging.
Weshalb kommen Menschen, deren Haustier gestorben ist, zu Ihnen?
Jürgen Schnell: Die Tierhalter suchen in erster Linie eine würdige Verabschiedung von ihren Tieren. Die Alternative zur Tierbestattung ist schließlich die Tierkörperbeseitigungsanlage, wo die Körper der Tiere zu Brennstoffen und Industrieölen weiterverarbeitet werden.
Sibylle Schnell: Der große Unterschied ist, dass in der Tierkörperbeseitigungsanlage das Tier als Sache behandelt wird. Tierhalter, die sich die Mühe machen, Alternativen zu suchen, wünschen sich einen würdigen Abschied.
"Das letzte Kind hat Fell"
Ein würdiger Abschied - wie von einem verstorbenen Freund oder Familienmitglied?
Jürgen Schnell: Absolut! Erst gestern sagte eine Tierhalterin zu mir: "Das letzte Kind hat Fell". Tiere nehmen in unserer Gesellschaft immer mehr den Platz eines Begleiters ein. Es gibt viele Single-Haushalte, wo das Tier schnell zum Kommunikationsmittel wird. Wenn man mit einem Hund spazieren geht, wird man sofort angesprochen: andere Hundehalter, Menschen, die den Hund niedlich finden oder ein Kind, das den Hund streicheln möchte – das ist eine soziale Ebene, auf der man kommunizieren kann.
Ihr Telefon klingelt; ein Tierhalter ruft an. Was ist wohl passiert?
Jürgen Schnell: Der Tierhalter ruft uns an, wenn das Haustier gerade gestorben ist oder der Termin für eine Einschläferung feststeht.
Und wie geht es weiter?
Sibylle Schnell: Unsere Aufgabe ist es dann, uns die Wünsche und Vorstellungen des Halters anzuhören, ihnen gerecht zu werden und den Menschen zu führen. Das ist die Trauerbegleitung – wir sitzen dabei und lassen die Menschen nicht allein. Das nimmt aber nicht jeder an; Trauer hat verschiedene Gesichter.
"Wir sind am Grab dabei - und für den Halter da"
Wie kann der Tierhalter sein Tier von Ihnen bestatten lassen?
Sibylle Schnell: Wir leisten hauptsächlich die Kremierung – damit hat der Halter alle Möglichkeiten: Er kann die Asche zu Hause behalten, sie im Garten in einer Bio-Urne begraben oder an einem schönen Ort, wo er schöne Erinnerungen mit seinem Tier hat, verstreuen. Es gibt auch spezielle Tierfriedhöfe, auf denen Tiere begraben werden. Die Bestattung findet zwar nicht mit einem Trauerredner statt – wir sind aber am Grab dabei und für den Halter da.
Falls der Tierhalter sich für eine Kremierung entscheidet: Was hat er zu beachten?
Jürgen Schnell: Schon im ersten Kontaktgespräch versuchen wir zu verstehen, was der Halter möchte. Eigentlich brauchen wir nur eine einzige Entscheidung von ihm: Möchte er eine Einzel- oder Sammel-Kremierung? Denn im Laufe der Zeit stellt sich manchmal heraus, dass er doch gern die Asche zurückbekommen möchte. Das ist bei einer Sammel-Kremierung nicht möglich – und kann auch nicht rückgängig gemacht werden. Deshalb lassen wir dem Tierhalter lieber zwei Tage Zeit, als dass er eine vorschnelle Entscheidung trifft.
Sibylle Schnell: Wenn der Tierhalter sich dann sicher ist und das Tier nicht beim Arzt zurücklassen, die Asche aber auch nicht haben möchte, kann er es in einer Sammel-Kremierung bestatten lassen. Dabei wird das Tier zusammen mit anderen Tieren verbrannt und die Asche anschließend im Streubeet verteilt.
Wo findet die Kremierung statt?
Sibylle Schnell: Es gibt spezielle Tierkrematorien – in unserem Fall liegt es vor den Toren von Hamburg.
Ist der Tierhalter bei der Kremierung anwesend?
Sibylle Schnell: Er kann dabei sein – das empfehlen wir aber nicht jedem.
Jürgen Schnell: Da muss man schon aufpassen. Es ist einmal passiert, dass eine Halterin ihr Tier nicht loslassen konnte. Das war wirklich sehr traurig …
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"Für Kleintierbesitzer ist es eine große Hemmschwelle"
Welche Tiere bestatten Sie?
Sibylle Schnell: Grundsätzlich dürfen wir alle Tiere bestatten, die als Haustiere gelten. Das können Hamster, Kanarienvögel, Schlangen, Hunde, Katzen, aber auch Schweine und Ziegen sein, solange sie nicht als Nutztiere gehalten wurden. Oft hören wir von Kleintierbesitzern: "Danke, dass Sie uns ernst nehmen."
Jürgen Schnell: Für Kleintierbesitzer ist es auch eine größere Hemmschwelle herzukommen, weil sie denken, nicht ernst genommen zu werden. Aber das sind genauso Familienmitglieder – da machen wir keinen Unterschied.
Gibt es verschiedene Arten von Urnen?
Sibylle Schnell: Ja, es gibt eine sehr große Auswahl an Urnen: verschiedene Farben, Formen und Materialien. Aber auch Urnen, denen man nicht ansieht, dass Asche darin ist. Dann kennen nur Sie selbst den Wert, der dahinter steckt. Unsere meistverkaufte Urne ist die Bio-Urne, die sich komplett auflöst. Für das Begräbnis dieser Urne müssen Sie auch kein 90 Zentimeter tiefes Loch graben, wie bei der Bestattung des Tierkörpers. Der Tierhalter muss aber keine Urne von uns nehmen, er kann die Asche auch in einer Transport-Urne für fünf Euro erhalten und zu Hause in ein eigenes Gefäß füllen. Oder er verstreut sie – wie er möchte.
Wie ist sichergestellt, dass der Halter auch wirklich die Asche seines Tieres zurückbekommt?
Sibylle Schnell: Jedem Tier wird in der Einzel-Kremierung ein Begleitstein mitgegeben. Der Stein ist mit einer Nummer versehen und er begleitet das Tier im gesamten Prozess – auch im Kremierungsofen. Dieser Stein kann anschließend mit in die Urne gelegt oder als Andenken behalten werden.
Jürgen Schnell: Sie glauben gar nicht, wie sehr unsere Kunden das schätzen. Der Stein ist zwar nur eine Kleinigkeit – aber er drückt Wertschätzung aus.
Wie kann ich das Andenken meines Tieres ehren?
Jürgen Schnell: Dafür gibt es zum Beispiel den Andenkenschmuck. Das sind quasi kleine Urnen, in die wenige Krümel der Asche gefüllt werden und immer bei sich getragen werden können.
Sibylle Schnell: Wir können auch einen Pfoten-Abdruck des Tieres machen, den Sie als Andenken behalten.
Ich habe gesehen, dass Sie auch eine "Diamant-Bestattung" anbieten – was kann man sich darunter vorstellen?
Sibylle Schnell: Ein Diamant besteht aus Kohlenstoff – und Asche und Haare sind eine gute Kohlenstoffquelle. So können Sie entweder von der Asche des toten Tieres oder aus den Haaren eines lebenden Tieres einen eigenen Diamanten wachsen lassen.
Wie genau funktioniert das?
Sibylle Schnell: Ein Diamant entsteht unter großer Hitze und starkem Druck. Die Firma Semper Fides aus der Schweiz macht das naturidentische Verfahren, bei dem 300 Gramm Asche, zehn Gramm Haare oder eine Mischung aus beidem benötigt werden. Nach vier bis sechs Monaten ist der eigene Diamant fertig.
Wieviel kostet so ein Diamant?
Sibylle Schnell: Der kleinste Diamant hat 0,15 Karat und kostet 1.990 Euro.
Jürgen Schnell: Und nach oben sind fast keine Grenzen gesetzt. Es gibt auch Einkaräter für über 15.000 Euro. Solche Diamanten wurden bei uns bisher aber nur drei Mal bestellt.
"Bei so viel Dankbarkeit kann man als Mensch nur glücklich sein"
Sie begleiten Ihre Kunden durch eine sehr schwere Zeit, da baut man doch sicherlich ein enges Vertrauensverhältnis auf.
Sibylle Schnell: Ja, das haben wir gerade erst wieder erlebt: Mein Mann wurde von einer Tierhalterin angerufen, um ihren eingeschläferten Hund abzuholen und sie war unglaublich dankbar, dass mein Mann pünktlich war. Es hat ihr eine große Last von den Schultern genommen, dass sie sich keine Gedanken machen musste. Sie hatte nicht das Gefühl, dass ein Fremder vor ihr steht - sondern ein Freund. Das macht unsere Arbeit so wertvoll. Wir kriegen so viel zurück; das macht uns reich – auf eine andere Art.
Jürgen Schnell: Ich habe noch nie eine Arbeit getan, die mit so viel Anerkennung, Wertschätzung und Dankbarkeit verknüpft ist. Wenn Sie so etwas als Bestätigung bekommen, können Sie als Mensch nur glücklich sein.
"Ein Tier stirbt immer zu früh"
Was ist schwerer für Tierhalter – ein natürlicher Tod oder die geplante Einschläferung?
Jürgen Schnell: Es ist das Schlimmste für den Tierhalter den Zeitpunkt zu bestimmen, wann das Tier gehen soll. Die Menschen brauchen dann von uns auch die Bestätigung, dass sie das Richtige getan haben. Denn egal was man tut: Ein Tier stirbt immer zu früh. Und wenn ein Tier eingeschläfert wird, stellen sich die meisten die Frage: Hätte ich nicht noch irgendwas machen können?
Sibylle Schnell: Diese Zweifel quälen viele Halter. Die Entscheidung über Leben und Tod treffen zu müssen und mit den Schuldgefühlen zu leben, ist das Schwierigste.
Gab es Fälle, die Ihnen persönlich sehr nahe gegangen sind?
Jürgen Schnell: Was mich besonders mitnimmt und ich deshalb versuche, nicht mit nach Hause zu nehmen, sind Situationen, in denen Kinder eine Rolle spielen. Wenn es zum Beispiel den Hund von der Leine gelassen hat und er deshalb überfahren wurde: Dieses Kind hat riesige Schuldgefühle – und das ist auch für mich schwer. Auch Tiere aus dem Freundeskreis oder aus unserer Rettungshundestaffel der Johanniter zu bestatten geht mir sehr nahe.
Tierbestatter ist kein klassischer Ausbildungsberuf - wie sind Sie dazu gekommen?
Jürgen Schnell: Ich bin mit einem Burnout und Depressionen aus meinem alten Beruf ausgestiegen. Für mich stand fest, dass ich nach der Genesung nicht wieder in die Maschinerie eines zwölf-Stunden-Tages in Führungspositionen mit Zahlen- und Erfolgsdruck zurück möchte. Es ist verständlich, dass ein Betrieb Gewinn erzielen möchte – aber ich war dann in einem Alter, in dem ich das nicht mehr brauchte.
Sibylle Schnell: Für uns kam eigentlich nur eine Selbstständigkeit in Frage. Mit Mitte 50 noch einmal zurück in die Wirtschaft war unvorstellbar.
Was ist seither in Ihrem Leben anders?
Jürgen Schnell: Unser ganzer Lebensrhythmus hat sich geändert. Wir haben zwar vorher mehr Geld verdient – aber jetzt haben wir eine viel bessere Lebensqualität. Heute leben wir freier.
"Auch nachts klingelt mal das Telefon - aber das ist okay"
Als Tierbestatter haben Sie keine festen Arbeitszeiten. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Sibylle Schnell: Wir sind 24 Stunden an sieben Tagen die Woche erreichbar. Wenn wir etwas vorhaben, müssen wir entweder eine Vertretung organisieren oder jederzeit bereit sein, aufzubrechen, um für unsere Kunden da zu sein.
Haben Sie denn auch Zeit um abzuschalten?
Jürgen Schnell: Andere gehen um neun Uhr zur Arbeit – ich gehe erstmal für zwei Stunden mit meinen Hunden spazieren. Wenn ein Anruf kommt, muss ich den Spaziergang zwar abbrechen – aber das ist gar nicht schlimm. Auch wenn um 20 Uhr das Telefon klingelt und jemand unsere Hilfe braucht, ist das nicht schlimm. Denn ich weiß: Dieser Mensch braucht unsere Hilfe wirklich.
Sibylle und Jürgen Schnell sind seit sechs Jahren Tierbestatter im Hamburger Stadtteil Wandsbek. Im März 2011 sind sie Partner der ANUBIS Tierbestatter-Gruppe geworden. Weitere Informationen zum Unternehmen finden Sie auf der Website oder auf ihrer Facebook-Seite.
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