Darmkrebs: Experte erklärt, ab wann Sie zur Vorsorge gehen sollten
Im Interview hat Prof. Dr. Kasper-Virchow uns erklärt, warum die Darmkrebsvorsorge Leben retten kann.
In Deutschland erkrankten pro Jahr rund 60.400 Menschen an Darmkrebs. 24.300 Menschen sterben an der Erkrankung. Wird der Krebs jedoch frühzeitig erkannt, nämlich bevor es zu Metastasen kommt, stehen die Chancen auf eine Heilung gut.
Welche aktuellen Behandlungsmöglichkeiten neben der herkömmlichen Chemotherapie infrage kommen und wie regelmäßig wir zur Darmkrebsvorsorge gehen sollten, hat Prof. Dr. med. Stefan Kasper-Virchow, Professor für Gastrointestinale Onkologie und Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie am Westdeutschen Tumorzentrum des Universitätsklinikums Essen, im Interview mit Liebenswert erklärt.
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Interview mit Prof. Kasper-Virchow
Liebenswert: Bei Darmkrebs ist die Sterberate sehr hoch, weil der Krebs in 50 Prozent der Fälle Metastasen bildet. Warum wird der Krebs oft erst so spät erkannt?
Prof. Dr. med. Stefan Kasper-Virchow: Darmkrebs wird häufig erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert, weil die Erkrankung relativ lange ohne Symptome verläuft. Anzeichen von Darmkrebs können unter anderem wechselndes Stuhlverhalten, wie Verstopfungen oder Durchfall, Blutauflagerungen im Stuhl, Gewichtsverlust, Blutarmut oder Schmerzen im Bauch sein.
Neben einem ungesunden Lebensstil ist Darmkrebs in vielen Fällen auch erblich bedingt. Wie ist dieses familiäre Risiko zu erklären?
Das lässt sich auf Defekte an einzelnen Genen, die an der Steuerung des Zellzyklus und an der Reparatur von Schäden des Erbguts beteiligt sind, zurückführen. Infolge dieser Gendefekte kommt es schon früher als üblich zu krankhaften Umbauprozessen im Gewebe, sodass Betroffene häufig sehr jung an Darmkrebs erkranken. Bei vererbtem Darmkrebs ist auch eine humangenetische Beratung ratsam, da diese Patienten auch andere Tumorerkrankungen entwickeln können.
Sehen Sie im Video, mit welchen Lebensmitteln Sie Ihrem Darm etwas Gutes tun: (Das Interview geht unter dem Video weiter)
Immuntherapie vs. Chemotherapie: Das sind die Unterschiede
Die Immuntherapie kommt nicht nur bei erblich bedingtem Darmkrebs zum Einsatz. Sie läuft ähnlich wie eine Chemotherapie ab. Das heißt, Patienten erhalten in der Regel alle zwei bis vier Wochen eine Infusion in die Vene. Diese dauert, je nach verabreichtem Medikament, meist nicht länger als zwei Stunden. Vor der ersten Infusion gilt es, mögliche Gegenanzeigen für die Immuntherapie abzuklären. Dafür sind eine Blutuntersuchung und ein Gespräch mit dem behandelnden Onkologen erforderlich.
Im Gegensatz zur Chemotherapie greift die Immuntherapie nicht direkt die Tumorzelle an. Stattdessen wird sozusagen das Immunsystem des Betroffenen 'therapiert'. Ziel ist es, dass die Tumorzelle als fremd erkannt und in der Folge abgetötet wird. Hat das Immunsystem gelernt, die Tumorzelle zu erkennen, kann mittels Immuntherapie ein sehr viel längerer Effekt erzielt werden. Das ist einer der Vorteile gegenüber der Chemotherapie. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist, dass bei einer Immuntherapie wesentlich weniger Nebenwirkungen auftreten. Typische Begleiterscheinungen der Chemotherapie, also etwa Blutbildveränderungen, Haarverlust oder Schleimhautentzündungen, bleiben in der Regel aus.
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Allerdings können stattdessen immunvermittelte Nebenwirkungen auftreten. Davon ist die Rede, wenn sich das Immunsystem der Patienten auch gegen die eigenen Organe richtet. Davon können insbesondere hormonproduzierende Organe sowie der Darm, die Haut und die Lunge und betroffenen sein. Dann sind Probleme mit der Schilddrüse, Durchfälle, Juckreiz, Hautausschläge oder Atemnot mögliche Folgen. Diese Begleiterscheinungen können sowohl während als auch nach der Immuntherapie auftreten und sollten frühzeitig behandelt werden, etwa mithilfe von Kortison oder indem die Immuntherapie ausgesetzt wird.
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Was können Sie uns über die zielgerichtete Therapie mit Antikörpern und Tabletten bei Patienten mit schlechter Prognose verraten?
Die Universitätsmedizin Essen war an einer großen internationalen klinischen Studie hierzu beteiligt, deren Ergebnisse kürzlich vorgestellt wurden. Dabei ging es um Patienten, bei denen das BRAF-Gen, ein Gen der Tumorzelle, eine ganz bestimmte Veränderung aufweist. Diese Patienten haben eine sehr schlechte Prognose, wenn der Tumor bereits gestreut hat.
In der Studie wurden bei genau diesen Patienten zwei Therapieformen verglichen – eine neue Kombinationstherapie aus Tabletten und Antikörpern und die klassische Chemotherapie. Die Studie fiel zugunsten der neuen Therapieform aus. Der Wirkstoff in den Tabletten blockiert die Mutation des BRAF-Gens und hemmt damit das Wachstum der Tumorzelle. Die entsprechenden Medikamente werden voraussichtlich in Kürze in Deutschland zugelassen.
Eine Früherkennung ist bei Darmkrebs in vielen Fällen überlebenswichtig. In welchen Abständen sollte ich zur Darmkrebsvorsorge gehen?
Alle zehn Jahre. Für Männer zahlen die gesetzlichen Krankenkassen die Darmkrebsvorsorge ab dem 50. Lebensjahr, für Frauen ab dem 55. Alle Menschen dieses Alters sollten die Vorsorgeuntersuchungen auch wahrnehmen. Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, beides sind chronische Darmentzündungen, müssen häufiger und auch deutlich früher zur Darmkrebsvorsorge. Das gilt auch für alle, bei denen in der Verwandtschaft Darmkrebs in jüngeren Jahren diagnostiziert wurde. Hier gilt die Regel, dass die Vorsorge zehn Jahre vor dem Zeitpunkt beginnen sollte, als bei einem Verwandten Darmkrebs diagnostiziert wurde. Das heißt konkret, hat mein Onkel mit 48 Jahren die Diagnose erhalten, sollte ich mit 38 Jahren bereits zum ersten Mal zur Darmkrebsvorsorge gehen.
Was kann ich tun, um mein Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, so gering wie möglich zu halten?
Ganz wichtig ist es, regelmäßig zur Vorsorge zu gehen – also, die Vorsorgekoloskopie (Darmspiegelung) in Anspruch zu nehmen. Mit dieser Untersuchung kann Darmkrebs frühzeitig festgestellt werden. In den meisten Fällen ist die Erkrankung dann sogar noch heilbar. Außerdem können bei der Darmspiegelung Adenome beziehungsweise Polypen, das sind Vorstufen von Darmkrebs, entfernt werden. Der Krebs kann so gar nicht erst entstehen. Neben der Darmspiegelung gibt es verschiedenen Tests, mit deren Hilfe verstecktes Blut im Stuhl ermittelt werden kann. Diese sind aber deutlich weniger aussagekräftig als eine Darmspiegelung. Eine ausgewogene Ernährung und Sport sind darüber hinaus empfehlenswert.
(Essen, 23. März 2020)