Streit um Rente mit 68: Welche Jahrgänge länger arbeiten müssten
Berater der Bundesregierung fordern eine Anhebung des Rentenalters auf 68. Kritik aus der Politik weisen die Experten zurück. Lesen Sie hier, welche Jahrgänge von der Reform betroffen wären.
Rund drei Monate vor der Bundestagswahl haben Berater um Wirtschaftsminister Peter Altmaier (62, CDU) einen umstrittenen Vorschlag gemacht: Das Renteneintrittsalter sollte auf 68 angehoben werden.
Es drohen "schockartig steigende Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2025", begründete der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium seine Empfehlung.
Nach jetziger Rechtslage wird die Altersgrenze für die Rente ohne Abschläge bis 2029 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben.
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Damit dürfte das Thema Rentenreform so kurz vor den Bundestagswahlen noch einmal an Fahrt aufnehmen. Bisher galten Corona und Klimaschutz als vorherrschende Streitthemen.
SPD, Grüne und Linke argumentierten in der Vergangenheit stets gegen eine Anhebung des Renteneintrittalters. Auch die Gewerkschaften sind prinzipiell eher gegen Reformen dieser Art.
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Kritik von Linke und Gewerkschaften
Herbe Kritik kam schon jetzt von der Partei die Linke. Als "asozialen Oberhammer" bezeichnete Linken-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow die Pläne des Gutachtens. Rentenkürzungen als Folge der Pandemie sollten ihrer Meinung nach ausgeschlossen werden.
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Auch die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Anja Piel, äußerte sich im Interview mit der 'Neuen Osnabrücker Zeitung' kritisch: Der Expertenbeirat wolle "Renten drastisch kürzen, Sozialstaat abbauen und Alterssicherung privatisieren, all das, um Arbeitgeber massiv zu entlasten".
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) mokierte sogar, die Experten müssten sich verrechnet haben und zweifelte die Seriosität der wissenschaftlichen Berater an. "Das ist nicht nur falsch gerechnet. Das ist auch unsozial, was dort vorgeschlagen wird", sagte der Minister.
Expertengremium wehrt sich gegen Kritik
Der wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministerium distanziert sich klar von den Vorwürfen.
Wie Beiratsmitglied Gabriel Felbermayr jetzt in einem Interview mit der 'Bild'-Zeitung sagte, könne er die Aufregung um das Gutachten nicht nachvollziehen.
Dieses sei ein Weckruf an die Politik gewesen - zwei und zwei ergebe nun mal vier. "Wenn die Politik das Rentensystem nicht reformiert, werden die Lasten für den Haushalt massiv ansteigen. Wenn die Politik hingegen so tut, als sei zwei und zwei fünf, belügt sie sich selbst und auch die Wähler", kritisiert er.
Er zeigt sich außerdem besorgt, dass die so wichtige Debatte um eine Rentenreform in Gefahr ist: Die Politik versteige sich in "ideologische Grabenkämpfe".
Verwundert über die Kritik aus der Regierung zeigte sich auch Beirats-Chef Klaus Schmidt, Professor an der LMU München. Er findet klare Worte: "Die Politik hat ihre Hausaufgaben in der Rentenpolitik nicht gemacht, daran wollten wir sie mit dem Gutachten erinnern. Es war uns deshalb wichtig, unsere Vorschläge noch vor der Wahl zu veröffentlichen, damit sie bei den kommenden Koalitionsverhandlungen diskutiert werden."
Er verteidigt das umstrittene Gutachten weiter: "Im Rentensystem wird es zu Einschnitten kommen und sie werden schmerzhaft sein. Wir haben aber Vorschläge vorgelegt, wie diese Einschnitte zumindest abgefedert werden können."
Rentenexperte Axel Börsch-Supan vom Max-Planck-Institut in München bezeichnet die Kritik als "Wahlkampfgetöse". Er ist sich sicher: "Auch in der Politik ist man sich längst bewusst darüber, dass die Rentenversicherung dringenden Reformbedarf hat."
Rentenalter müsse dynamisch an Lebenserwartung angepasst werden
Die Experten*innen schlugen in ihrem Gutachten vor, das Rentenalter dynamisch an die Lebenserwartung anzupassen.
Langfristig sei es wenig sinnvoll, das Rentenalter unabhängig von der zu erwartenden Lebensdauer zu bestimmen, heißt es. "Stattdessen müssen die zusätzlichen Lebensjahre nach einer klaren Regel zwischen mehr arbeiten und länger Rente beziehen aufgeteilt werden."
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Rente mit 68 ab 2042 realitisch
Hintergrund des Vorschlags ist das Bestreben, das Verhältnis der in Arbeit und in Rente verbrachten Lebenszeit auf einem konstanten Niveau zu halten.
Gemäß den derzeitigen Prognosen der Lebenserwartung würde mit einer solchen Zielvorgabe das Rentenalter in 2042 mit 68 Jahren erreicht, sagte der Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, Axel Börsch-Supan. Bei ihm lag die Federführung des Gutachtens.
Andersrum bedeutet dies, dass bei sinkenden Lebenserwartungen auch das Rentenalter wieder herabgesetzt werden würde.
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Wen betrifft die Rente mit 68?
Sollte der Reformvorschlag durchgesetzt werden, würden Menschen, die 1976 geboren wurden, erst mit 68 Jahren in Rente gehen. Allerdings sind auch früher geborene Jahrgänge betroffen, diese müssten gestaffelt länger als bisher geplant arbeiten.
Wie eine Berechnung von 'Focus Online' zeigt, würden etwa
Menschen mit dem Geburtsjahr 1965 erst mit 67 Jahre plus einen Monat in Rente gehen,
der Jahrgang 1970 würde die Rente erst mit 67 Jahren und sechs Monaten erreichen und
Menschen, die 1975 zur Welt kamen, würden schon zusätzliche zehn Monate bis zur Rente arbeiten
Weitere Vorschläge zur Rentenreform
Auch die Beiträge müssten demnach erhöht werden. Aktuell zahlen Arbeitnehmer*innen wie Arbeitgeber*innen 9,3 Prozent des Gehalts an die Rentenkasse. Wie hoch die Anpassung ausfallen würde, hängt allerdings von weiteren Schritten einer möglichen Rentenreform ab.
Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg wagte für die 'Bild'-Zeitung eine Prognose: Auf 28 Prozent von derzeit 18,6 sollten die Beiträge langfristig steigen. "Oder der Bundeszuschuss muss extrem wachsen", sagt er, und weiter: "Am Ende wird uns das Rentensystem um die Ohren fliegen."
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Ohne staatliche Zuschüsse ist die Rentenfinanzierung in Gefahr
Der Vorschlag des Expertengremiums ist ein altbekannter: In den vergangenen Jahren wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass sich eine steigende Lebenserwartung und ein gleichbleibendes Renteneintrittsalter nur schwer in Einklang bringen lassen werden.
Die Regierungsberater betonten, dass sich die derzeitige Rentenfinanzierung nur mit "stark steigenden Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt" fortsetzen lassen.
Die Experten empfehlen außerdem, die Rentenerhöhungen zu drosseln und vom Inflationsniveau - und damit nicht von der Lohnentwicklung - abhängig zu machen. Dadurch würden Menschen mit geringerer Lebenserwartung fairerweise profitieren.
Aufgrund der höheren Zuschüsse seien andere Investitionszweige wie etwa Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz benachteiligt.
Ein weiterer Vorschlag der Expertenrunde: Bestandsrenten sollten weniger stark dynamisiert werden als neue Renten. Und: Der 2018 gestrichene "Nachholfaktor" sollte wieder eingeführt werden. Dieser sorgte dafür, dass besonders hohe Rentensteigerungen in den Folgejahren abgemindert werden.
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